Die digitale Dunkelzeit
Immer häufiger sehe ich Posts über die sogenannte "digital dark age". Seitdem muss auch ich mehr und mehr über die Überlebenszeit digitaler Produkte nachdenken.
Ich bin so eine prätentiöse Person, die Schallplatten und Bücher kauft. Klar gehört das auch zu meinem Selbstbild, ich definiere mich ein Stück weit darüber. In meinem Freundeskreis gibt es Leute, die auch so sind, es gibt aber auch Personen, die das gar nicht nachvollziehen können. “Kannst es doch auch einfach bei Spotify hören”, fällt dann zum Beispiel. Und um ehrlich zu sein, hatte ich auch lange keine richtige Antwort darauf, wenn ich gefragt wurde, warum ich kaufe anstatt zu streamen.
Doch dann stieß ich bei TikTok und YouTube auf Videos und Kommentare, in denen von einer “digital dark age” gesprochen wird, in der wir angeblich gerade leben sollen.
Das “dunkle Zeitalter der Digitalisierung” beschreibt generell “den Verlust an Informationen und Daten aufgrund überalterter Technologien wie bestimmte veraltete Datenformate, Software oder Hardware, welche mit der Entwicklung neuer Technologien nicht mehr in entsprechenden Umfang zugänglich sind”1 und ist ein Begriff der von Historiker Sebastian Tripp geprägt wurde. Es besteht die Möglichkeit, dass wir auf Dateien im Internet zukünftig nicht mehr zugreifen können, weil sich Technologien weiterentwickeln und alte Standards somit unbrauchbar werden würden. Ähnlich wie es sich im analogen Raum verhält, könnten Medien komplett verloren gehen.
Durch geringes Interesse und niedrige Verkaufszahlen sind große Mengen an Musik des 20. Jahrhunderts verloren gegangen, da sie nicht nachgepresst oder digitalisiert wurden. Auch wenn das momentan unvorstellbar ist, kann genau das auch im digitalen Raum passieren. 2019 gab MySpace zu, dass sie durch eine Servermigration knapp 50 Millionen Songs von 14 Millionen Künstler*innen verloren haben.2
Den Großteil meiner Musik höre ich auf Spotify. Dort mache ich mir jährlich eine neue Playlist, in die ich laufend meine Lieblingssongs einspeichere. Dazu erstelle ich noch thematische Playlists mit meinen liebsten Klassikern, NDW-Songs oder Ähnlichem. An die Wenigsten würde ich mich erinnern können, wenn Spotify von jetzt auf gleich verschwunden wäre. Sollten alle Streaming-Plattformen von einer Sekunde zur Nächsten nicht mehr existieren, könnte ich mich wohl nur noch an die Musik erinnern, die mich in meinem Leben am Längsten begleitet und am meisten geprägt hat.
Den Gedanken finde ich gruselig. Und ich glaube, das ist die Antwort darauf, warum ich gerne Musik kaufe. Anfang des Jahres habe ich angefangen Spotify weniger zu nutzen. Das liegt nicht nur an der vermeintlichen “digital dark age”, sondern auch einfach daran, dass ich Spotify als Plattform scheußlich finde und sie oft einfach nicht problemlos funktioniert. Also habe ich angefangen, neben der gelegentlichen Schallplatte, wieder Musik zu kaufen. Und jetzt lebe ich in der stillen Gewissheit, dass ich selbst bei Internetausfall oder Spotify Zusammenbruch das erste Lynyrd Skynyrd Album, Decide von DJO oder das neue Album von Royel Otis hören kann. Dass ich diese Alben seitdem auch häufiger von vorne bis hinten gehört habe, ist ein schöner Nebeneffekt der ganzen Sache.
Die Katastrophe “digital dark age” beschränkt sich auch nicht bloß auf Musik. Man nehme mal an, es kommt vielleicht die Zeit, in der es keine Cloud mehr gibt und alle Dateien, die man auf dem Handy hat nicht mehr zugänglich sein werden, weil es vielleicht neue Technologien gibt, das Überspielen auf neue Formate nicht möglich ist oder sich für die Anbieter finanziell nicht lohnt. Viele Leute hätten vermutlich keine Fotos mehr von ihrem Leben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dunkles_Zeitalter_der_Digitalisierung, 27.05.2024
https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/millionen-titel-betroffen-myspace-hat-musik-aus-mehr-als-zehn-jahren-verloren/24116050.html, 27.05.2024
Eine Sache die mich in Panik versetzt was wäre wenn alles weg ist. Es ist mir tatsächlich schon mal passiert eine Externe Festplatte ging von jetzt auf gleich einfach nicht mehr Wiederbeschaffungskosten 400€ damals eine Monatsmiete konnte ich mir nicht leisten. Laptop gestohlen damals die Cloud noch verteufelt nicht alle Fotos ausgedruckt Erinnerung die man festgehalten hat einfach verloren. USB Sticks und Speicherkarten die einfach nicht mehr funktionieren. Die Herausforderung kleiner Wohnraum wohin mit Fotoalben, CD‘s,, Mc‘s, Platten Filme und Büchern. Also erst mal einiges verkauft und jetzt fang ich an mir Sachen wieder zu beschaffen weil ich genau davor Angst habe. Wenn ich nie wieder das Nervermind Album von Nirvana hören könnte, die Unendliche Geschichte weder sehen noch lesen könnte und ich all die gesammelten Erinnerungen auf Fotos nicht mehr anschauen könnte. Ich bin in die Digitalisierung rein gewachsen ich habe sie von Beginn an mitbekommen und seit ein paar Jahren erst fange ich an sie in Frage zu stellen. Danke für den Beitrag.