Was MrBeast und Stephen King verbindet: Über die mediale Ausbeutung von Armut
Viele Handlungsstränge aus dystopischen Büchern sind wahr geworden. In diesem Teil schauen wir auf "Menschenjagd" von Stephen King.
Dass wir in einer dystopischen Höllenlandschaft leben ist wirklich kein Geheimnis mehr. Wenn man von oben auf die Welt schaut, wird schnell klar, dass viele der Talking Points in dystopischen Romane des 20. Jahrhunderts bereits Wirklichkeit geworden sind. Egal, ob “Fahrenheit 451”, “Brave New World” oder “1984” - jedes Buch hat mehrere Aspekte, die damals absurd wirkten und heute Realität sind.
Mein liebstes Beispiel momentan: “Menschenjagd” von Richard Bachman aka Stephen King. In “Menschenjagd” geht es um eine dystopische, kapitalistische Zukunft, in der jeder Aspekt des Alltags monetisiert und kommerzialisiert ist. Hier ein kurzer Auszug aus dem Klappentext:
“Amerika im Jahre 2025. Auf der einen Seite Arbeitende, die der oberen Klasse angehören, auf der anderen Seite Arbeitslose und Asoziale, von der Gesellschaft ausgestoßen und verachtet.”
Ach, lustig, was der Stephen sich alles so ausdenkt, oder? Mal abgesehen davon, dass selbst “normale” Arbeitende heutzutage nicht der oberen Klasse angehören. Als Arbeitender bist du immer fünfzig Schritte näher am Ruin als an der Oberschicht.
Der Protagonist des Buches Ben Richards bewirbt sich bei einer Fernsehsendung als “Running Man”. Ziel der Sendung: Je länger du als Running Man vor den professionellen Menschenjägern entkommen kannst, desto mehr Geld bekommst du. Fangen die Jäger dich allerdings, naja, dann, äh, ja, stirbst du. Ups. Das ganze Land schaut diese Sendung und ist aufgerufen den Teilnehmenden zu verpfeifen. Für die Running Men ist es oft der letzte Ausweg aus der finanziellen Not, wie auch bei unserem Protagonisten.
Interessanter Sidenote: Die Medienfirmen haben sich mit der Regierung zusammengeschlossen und machen gemeinsame Sache. Die Sendungen laufen auf Apparaten namens “Freevee”. Amazon hat seit 2022 auch Streamingkanäle mit dem gleichen Namen. Naja, nur Zufall bestimmt.
Die Eliten im Roman verseuchen die Städte der normalen Bürger mit giftigen Stoffen und lenken sie durch konstante mediale Beschallung davon ab. Man könnte direkt an Hunger Games denken oder auch an Squid Game.
Squid Game kam 2021 bei Netflix raus und zeigt eine ähnliche Geschichte. 456 Teilnehmende spielten tödliche Kinderspiele, um aus ihrer finanziellen Notlage herauszukommen und den riesigen Geldpreis zu gewinnen. Verlieren sie die Spiele, sterben sie. So weit, so dystopisch.
Was nicht vorherzusehen war: Der größte YouTuber der Welt sieht diese offensichtliche Kritik an Kapitalismus und autoritären Systemen und denkt sich “Geil, genau das mache ich auch.”Jetzt, wo ich so drüber nachdenke, war es vielleicht doch vorhersehbar. 747 Millionen Aufrufe hat das “Squid Game in Real Life” Video von MrBeast mittlerweile. Klar, er tötet die Teilnehmenden (noch) nicht, aber es ist trotzdem ein sehr interessanter Move diese Serie so kontext- und kritiklos zu adaptieren.
Amazon (die mit den Freevee-Kanälen) fand das wohl so toll, dass sie Jimmy Donaldson aka MrBeast eine Show angeboten haben nach dem gleichen Prinzip. Mit “Beast Games” kam dann letztens eben jene Sendung raus und es ist basically sein Squid Game Video als vollständige, mehrteilige Serie. 100 Teilnehmende spielen um den großen Preis von fünf Millionen Dollar. Viele der Teilnehmenden erzählen in den Interviews, welche Probleme sie haben und wie ihnen das Geld helfen und ihr Leben verändern könnte, bevor sie dann ausscheiden und von MrBeast höchstpersönlich durch Knopfdruck in eine Loch geworfen werden, das unter ihrer Plattform auf sie wartet (kein Witz).
Die großen Autor*innen des 20. Jahrhunderts, die dystopische Romane geschrieben haben, sind auf diese Ideen nicht aus dem Nichts gekommen. Sie haben gesellschaftliche und politische Ströme verinnerlicht, diese ins Extreme gezogen, um sie als Schaubild zu verdeutlichen. Was wir also heute erleben, ist nicht das Wahr werden von ausgedachten Prophezeiungen, vielmehr die Endpunkte von Entwicklungen, die seit einem halben Jahrhundert (mindestens) anhalten.
Und auch, wenn diese Beobachtungen nicht 100% identisch sind zu unserer Realität heutzutage, MrBeast seine Teilnehmenden nicht umbringt, sondern “nur” in ein Loch wirft1, sollten man diese Entwicklungen nicht normalisieren und unkritisch betrachten.
Im nächsten Teil schauen wir uns weitere Beispiele an, in denen dystopische Romane uns bereits erreicht haben. Kennt ihr Beispiele? Dann schreibt sie gerne in die Kommentare.
https://www.independent.co.uk/arts-entertainment/tv/news/beast-games-mrbeast-scandals-lawsuit-b2667722.html - im Vorfeld der Sendung gab es mehrere Beschwerden über die Produktion der Sendung, u.a. dass es kaum Essen gab oder Medikamente nicht mitgebracht werden durften
Seeeehr spannend! Brave New World zeigt ja eine Zukunft auf in der Menschen so von Entertainment und Beschallung verschlungen sind, dass ihnen jegliche Propaganda untergemogelt werden kann. Social Media at its finest