Männer, die nicht auf Bücher starren
Männer lesen weniger als Frauen. Und wenn, dann stehen eher Sachbücher auf dem Plan anstatt Rooney und Yarros. Warum ist das so?
In meinem Umfeld habe ich letztens von einem Bekannten den Satz gehört “Lesen gibt mir einfach irgendwie nichts”. Man hört das häufiger, aber ich habe mich gewundert und den restlichen Tag darüber nachgedacht.
Doch die Wissenschaft untermauert dieses Statement: Männer lesen weniger als Frauen*. Und das nicht zu knapp. Der Buchmarkt in den USA, Großbritannien und Kanada bestand in 2023 zu 80% aus Käufen von Frauen. Laut NielsenData machen Frauen 65% aller Käufe im Bereich Fiktion in Großbritannien aus1. Auch deutsche Forschung sieht ähnliche Ergebnisse. In einer Umfrage über die “Häufigkeit des Lesens von Büchern nach Geschlecht” liegen weibliche Personen in jeder Kategorie vorn. Sie lesen häufiger täglich, wöchentlich und monatlich, während 53% der Männer sogar sagen, dass sie nicht jeden Monat lesen2.
In einem DAZED Artikel geht die Autorin Georgina Elliot auch qualitativ näher auf diese Zahlen ein und befragte Männer zu ihren Lesegewohnheiten. Einer findet “reading for pleasure is a waste of time” - aus Spaß lesen sei Zeitverschwendung. Wenn er liest, dann eher um sich zu informieren in Sachen Politik oder Geschichte. Ein Anderer sagt er habe seit seiner Kindheit kein einziges fiktionales Werk mehr gelesen, wenn dann würde er Sachbücher lesen. Beide geben an, dass sie ihre Zeit gut, also produktiv, nutzen wollen. Fiktionales Lesen ist für sie demnach kein produktives Nutzen ihrer Zeit.
An dieser Stelle möchte ich kurz ein Videoessay der YouTuberin According To Alina mit dem Titel “How Women Took over Literature (or why men abandoned it)” empfehlen. Dadurch bin ich das erste Mal auf das Thema gestoßen.
Ich habe als Kind gerne gelesen. Klaus Peter Wolf hatte eine Fantasyreihe für Kinder geschrieben mit dem Namen “Das magische Abenteuer” und ich habe sie geliebt, jedes Buch der Reihe verschlungen. Als er für eine Lesung in meine Grundschule kam, war ich aus dem Häuschen und lies mir meine Exemplare von ihm signieren. Doch mit der Zeit ging meine Begeisterung für das Lesen verloren. Ich hielt es ebenfalls für langweilig und Zeitverschwendung. Erst im Laufe der letzten, sagen wir, fünf Jahre habe ich meine Liebe zur Literatur wiederentdeckt. Eine ähnliche Erfahrung schildert TikToker Ben Keenan3, der es damit erklärt, dass Jungs eingetrichtert wird, was maskulines Verhalten ist und was davon bei Mädchen gut ankommt. Lesen gehört nicht dazu.
Heutzutage habe ich auch wenige männliche Personen in meinem Umfeld, die aktiv lesen. Selbst, wenn ich meine Social Media Statistiken angucke, zeigt sich wie weiblich die Zielgruppe für das Thema Bücher ist. Bei TikTok 70% weiblich, bei YouTube 71%, bei Instagram sogar 76%. Das deckt sich fast mit den Zahlen von Nielsen zum Anteil weiblicher Käufe im Buchmarkt 2023, den ich am Anfang nannte.
Ich kann auch die Beobachtung bestätigen, dass Männer, wenn sie lesen, eher Sachbücher lesen. Das hat mit Sicherheit auch gesellschaftliche Gründe, die man - wie eigentlich jedes Thema - auf Kapitalismus zurückführen kann.

Männlichkeit ist ein heikles Thema, zumindest für viele Männer. Durch das Erstarken des Feminismus in den sozialen Medien und Bewegungen wie #MeToo, hat sich für die armen, hilflosen und vernachlässigten Männer eine Gegenbewegung entwickelt, die besonders auf TikTok, aber auch überall sonst im Internet zuhause ist. Angeführt von sogenannten Alphas wie Andrew Tate oder seinem deutschen Äquivalent Hoss und Hopf, versprechen sie ihren Zuschauern (kein Gendern nötig), ihnen zu zeigen, was Männlichkeit wirklich bedeutet. In den meisten Fällen ist das Frauenfeindlichkeit und eine Ablehnung gegen alles, was progressiv und woke (was sowieso das schlimmste Buzzword ist) ist. Männer müssen sich und ihr Leben in jedem Aspekt optimieren. Jede Sekunde des Tages soll produktiv genutzt werden durch Fitnessroutinen oder den obligatorischen Sidehustle, um so schnell wie möglich reich zu werden. Fiktionale Bücher, in denen Empathie eine wichtige Rolle spielt und man sich in andere Hineinversetzen muss, sind da gar kein Thema.
Interessanterweise ist dieser “fiction gap” zwischen Männern und Frauen und die Produktivitätsfalle der Männer kein neues Phänomen. Im Großbritannien des 19. Jahrhunderts war Lesen schon einmal zu einer “femininen Aktivität” geworden. Obwohl die Alphabetisierungsquote bei Männern im Gegensatz zu Frauen zu dieser Zeit noch viel höher lag als heute, war Lesen ein Hobby für Hausfrauen der Oberschicht, während Männer sich als ernstzunehmende Mitglieder der Gesellschaft bereits damals auf das Produktivitätsargument stürzten. Jede Form des Lesens musste durch einen rationalen Wert gerechtfertigt werden. Die Autorin Leah Price schrieb in ihrem Buch “How to do Things with Books in Victorian Britain”:
“Once a sign of economic power, reading is now the province of those whose time lacks market value.”
Natürlich spiegelt sich diese Einstellung mittlerweile auch auf dem Buchmarkt wider. Männer lesen weniger Fiktion, der Markt bringt weniger Fiktion raus, Männer haben weniger fiktionale Bücher, die sie konkret ansprechen. Ein Teufelskreis.
Dabei kann das Lesen fiktionaler Werke so viele Vorteile haben. Während bei Sachbüchern oft direkt klar ist, was der Wert des Buches ist, verstecken Romane ihre Werte und Messages in Charakteren und Handlungen, die man sich zwischen den Zeilen erschließt. In ihnen steckt genau so Wert, wie in Sachbüchern. Nur ist dieser Wert eher zwischenmenschlich und muss sich selbst erschlossen werden. Männern wird aber eingetrichert, dass etwas nur von Nutzen ist, wenn man daraus monetären Profit schlagen kann.
Der Autor Jeff Hoffmann plädiert ganz simpel: “Men should read more fiction, because it makes one more empathetic, and empathy is useful.”4 Ich unterstütze das.
(*die Daten beziehen sich leider nur auf Männer und Frauen, deswegen spreche ich in meinem Text auch nur in den beiden Kategorien oder von männlich oder weiblich gelesenen Personen)
Wie sagt ihr dazu? Schreibt mir eure Meinung gerne in die Kommentare :)
https://www.yourtango.com/self/reason-why-men-dont-read-fun-books
Sehr spannendes Thema, das mich echt nachdenklich macht. Meine Faszination fürs Lesen von Fiktion wurde ironischerweise während meines Anglistik-Studiums von Sachbüchern abgelöst. Bei diesen fällt es mir meist einfacher, mich konzentriert aufs Lesen einzulassen, während ich mich bei der geschriebenen Fiktion tatsächlich frage, inwiefern eine "Verkümmerung" der eigenen Imaginationskräfte Grund für meine Distanz zum Medium ist. Gerade bin ich dabei, diese Distanz wieder abzubauen und meine Liebe für Fiktionales wiederzugewinnen, aber ich merke immer noch recht häufig, dass ich diese Bücher nicht mehr im gleichen (eskapistischen) Gemütszustand rezipieren kann, wie in meiner Kindheit / Teenie-Zeit.
Ich finde, wir sollten uns Hobbys bewahren, die keinen weiteren Nutzen haben außer uns gutzutun. 😊 Ich habe lange Zeit auch nur Sachbücher gelesen, um mir viel Wissen anzueignen. Aber irgendwann war Lesen einfach nur noch anstrengend.